Das Enneagramm - Typ EINS
Vollkommenheit
Irgendwann in ihrer Kindheit haben EINSer die Überzeugung
gewonnen, daß nur Vollkommenes liebenswert ist. Man muß das
Recht, geliebt zu werden, verdienen. Es ist für EINSer schwer sich
vorzustellen, daß Unvollkommenes und Gebrochenes Liebe verdient.
Aber genau diese Erfahrung ist es, die ihnen zum Durchbruch
verhilft: bedingungslose Liebe. Das können sie nicht glauben. Man
kann sehen, wie sich Paulus und Martin Luther damit rumschlagen,
weil sie beide EINSer sind.
Unvollkommenheit
Die EINS ist fortwährend von der Realität enttäuscht, weil sie
immer hofft: Jetzt kommt endlich mal was Vollkommenes! Aber bei
näherem Hinsehen stellt sich heraus: Auch das ist es nicht. Diese
Enttäuschung verdichtet sich zu Wut. Es ist nicht die Wut auf
irgend etwas Bestimmtes, sondern ein gestaltloser, universeller
Ärger, der Ärger über die Unvollkommenheit der Welt.
Zorn
Dieser Zorn versorgt sie mit einer Menge Energie für den Versuch,
die Welt zu verbessern. Aber es ist aggressive Energie. Alle tun
oft das Richtige aus den falschen Motiven. Das zu entdecken, ist
sehr demütigend! Gott benutzt unsere Sünden für Gottes Ziele.
Deswegen kann sich "kein Fleisch vor Gott rühmen", wie Paulus sagt.
Hehre Ideale
Die Wut der EINS sieht nicht aus wie Wut. Auf den ersten Blick
wirkt sie wie Idealismus oder Eifer. Sie wirkt wie eine Tugend. Und
diese Wut ist nicht nur für andere verborgen, sondern auch für die
EINS selbst. EINSer sind in der Regel überrascht, wenn sie
herausfinden, daß ihre Sünde der Zorn ist. Andere sehen es in der
Regel eher als sie selbst. Sie sind überzeugt, daß sie hohe Ideale
und edle Ziele verfolgen. Es ist für sie sehr schwer zuzugeben, daß
das nur ihre hehren Ideale sind und nicht unbedingt objektiv edle
Ziele. Das müssen sie zunächst einmal erkennen, wenn sie
barmherzig werden wollen.
Schnelle Urteile
Tief in der EINS befindet sich ein tiefer Strom von Ärger, den sie
nicht erkennt oder zugibt. Dieser Strom führt dazu. daß EINSer
schnelle Urteile fällen. Das geht so schnell, daß sie selbst nicht
merken, daß sie schon wieder ein Urteil gefällt haben. Diese
schnellen Urteile verdichten sich schließlich zu einem Dauerzustand
von Groll. Das läuft blitzschnell ab: Ärger - Urteil Groll. Ärger -
Urteil - Groll. Deshalb müssen sie im ersten Moment zupacken,
wenn der Ärger auftaucht. Nur so können sie den Teufelskreis
durchbrechen. Sie müssen erkennen, wie tief und konstant diese
Wut ist. Und sie müssen aufhören, sie anders zu nennen, wie zum
Beispiel "Wahrheit" oder "Gerechtigkeit". Sie müssen einfach
zugeben, daß sie verdammt wütend sind. Das fällt ihnen sehr
schwer, weil Musterkinder nicht wütend sind.
Musterkinder
Das Selbstbild, von dem die EINS abhängig ist, lautet: "Ich bin ein
braves Kind!" Denn sie mußten Musterkinder sein, um entweder die
Liebe ihrer Eltern zu bekommen oder um sie nicht zu verlieren. Sie
dürfen sich z.B. nicht zugestehen, egoistisch zu sein. Deswegen muß
sich ihr Egoismus verkleiden. Sie erlaube sich nicht, eigenen Gefühle
wahrzunehmen, sondern fühlen, was sie fühlen sollen. Deswegen
sind ihre Gefühle versteckt - sogar für sie selbst.
Heitere Gelassenheit
Eine EINS muß ihre wahren Gefühle und ihre eigene Sicht der
Wirklichkeit erst entdecken. Das ist sehr schwer, weil das alles
ständig von Geboten und Verboten überlagert und unterdrückt
wird. Die EINS muß aufhören, Urteile zu fällen, vor allem
moralische Urteile. EINSer sind besessen von moralischen Urteilen.
Alles muß gut oder böse sein, verdienstlich oder sündig. Wenn sie es
lernen, Dinge einfach sein zu lassen, wie sie sind, wenn sie lernen, zu
sehen, bevor sie urteilen - dann gelangen sie zu einer wunderbaren
heiteren Gelassenheit.
Harmonie
Wenn es gut geht, gelingt es ihnen am Ende besser als allen
anderen, Zorn zu überwinden und zu verwandeln. Irgendwann sind
sie von ihrer Wut und ihrem angestrengten Ernst derart müde, daß
ihr innerer Friede ihre größte Gabe werden kann. Die erlöste EINS
hat einen ausgesprochenen Sinn für Harmonie und Ausgewogenheit.
Wahrheit
Normalerweise hält man EINSer für sehr vernünftige Leute. Denn
ihre Urteile erlauben ihnen, jeweils beide Seiten zu sehen. Aber sie
müssen aufhören, ständig zu urteilen. Sie müssen aufhören, der
eigenen Wut zu glauben. Sie müssen aufhören zu meinen, daß ihre
Urteile wirklich auf die Wahrheit zielen. Anstelle von "alles oder
nichts" müssen sie "sowohl als auch" zulassen. Das ist erlösend für
eine EINS.
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